Eine klare Vision von Naturschutz und Freundschaft

Morgenstimmung im Nationalpark Unteres Odertal © dpa

Auenwälder und Alt-Arme der Oder, endlose Wiesen, gesäumt von bewaldeten Hügeln, Polder, Feuchtgebiete, Schilfflächen, aber auch ausgedehnte Trockenwiesen: Die Rede ist vom Internationalpark Unteres Odertal. In dieser einzigartigen Landschaft an der deutsch-polnischen Grenze leben unzählige Tierarten, neben den seltenen Bibern und Fischottern auch Seeadler, Kraniche, Wachtelkönige. „Während einer zweistündigen Fahrradtour lassen sich mit etwas Glück durchaus 120 Vogelarten sehen“, sagt Nationalparkleiter Dirk Treichel. Mehr als 270 sind es insgesamt.

Kraniche im Nationalpark Unteres Odertal © dpa

Zu beiden Seiten des Unterlaufs der Oder erstreckt sich eines der bedeutendsten Naturdenkmäler Europas, zugleich ist es eines der Völkerverständigung und Völkerfreundschaft. Den Internationalpark Unteres Odertal bilden seit 1995 auf deutscher Seite der Nationalpark Unteres Odertal, auf polnischer Seite zwei Landschaftsschutzparks und einige weitere Schutzgebiete. Fragen an Nationalparkleiter Dirk Treichel.

Ein Schwarzstorch im Nationalpark © dpa

Herr Treichel, die Oder ist über weite Strecken der Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland. Bis 1990 war sie, obwohl zwei „sozialistische Bruderländer“ trennend, ein nur schwer zu überwindendes Hindernis…

Für die Natur galt das nie. Das Ökosystem ist ein gemeinsamer Landschaftsraum, der denselben natürlichen Gesetzen unterliegt. Die menschengezogenen Grenzen haben hier noch nie gegolten. Zum Beispiel das Zwischenoderland, diese etwa 6.000 Hektar große Fläche zwischen den beiden Armen der Oder. Nach 1945 wurde es polnisch und ist wegen seiner schwierigen Erreichbarkeit praktisch brachgefallen. Die großen Moorbereiche, die Überflutungs- und Durchströmungsmoore mit teilweise zwölf Meter mächtigen Torfschichten blieben seither ungestört. Sie wurden zu einem Rastplatz von bis zu 30.000 Kranichen, die in den flachen Gewässern ihre Schlafplätze haben. Zum Fressen allerdings fliegen sie tagsüber in der Regel nach Westen, über die Staatsgrenze, auf die Ackerflächen oder abgeernteten Maisäcker auf der deutschen Seite.

Impressionen aus dem Internationalpark © dpa
Impressionen aus dem Internationalpark © dpa
Unteres Odertal in Deutschland und Polen © dpa
Impressionen aus dem Internationalpark © dpa
Impressionen aus dem Internationalpark © shutterstock
Impressionen aus dem Internationalpark © dpa

Dieses Stück unberührter Natur, das Zwischenoderland war letztlich auch Ausgangspunkt des Internationalparks.

Tatsächlich nahm die Vision eines Internationalen Nationalparks hier ihren Anfang. Angetrieben haben sie  Professor Mieczysław Jasnowski von der Universität Stettin und Professor Michael Succow, Träger des Alternativen Nobelpreises. Die Landschaft ist ein Juwel in Mitteleuropa: 6.000 Hektar Wildnis und dann noch am Unterlauf eines so großen Flusses, das gibt es wohl kaum ein zweites Mal. Da nach deutschem Recht Nationalparks große Wildnisbereiche benötigen, sollte das Zwischenoderland die Kernzone des neuen Parks werden.

Der Internationalpark Unteres Odertal

Deutschlands einziger Flussauen-Nationalpark ist zugleich eines der wenigen grenzüberschreitenden Schutzgebiete. Der Biodiversitätsindex des gemeinsamen Schutzgebietes mit Polen gehört zu den höchsten in Deutschland. Das Schutzgebiet mit seinen vielen Wander- und Radwegen ist ein Mekka für Vogelbeobachter, insbesondere in der kalten Jahreszeit, wenn dort bis zu 30.000 Kraniche rasten. Das Nationalparkzentrum ist in Criewen, auch die Stadt Schwedt ist ein beliebter Ausgangspunkt für Touren. Der Oder-Neiße-Radweg führt durch das Schutzgebiet.

Aber die Vision Succows und Jasnowskis ging noch darüber hinaus?

Tatsächlich dachten die beiden damals, vor mehr als 30 Jahren, an ein in jeder Beziehung Grenzen überschreitendes Gebiet: das untere Odertal, dessen Schutzzonen sowohl in Deutschland wie in Polen liegen sollten. Sie träumten von einer gemeinsamen, gemischten Verwaltung für den gesamten Park mit polnischen und deutschen Mitarbeitenden. Ihre Vision war ein wahrhaftig europäischer Nationalpark, der den Gedanken eines vereinten Europas in die Wirklichkeit umsetzt. 

Rehe im Winter © dpa
Der in Deutschland seltene Seeadler © dpa
Singschwäne überwintern hier. © dpa
Ein Beobachtungsturm für Naturfreunde © shutterstock

Ein kühner Gedanke, selbst in den Aufbruchszeiten der frühen 1990er Jahre. 

Allerdings. Die Idee landete dann auch schnell und hart auf dem Boden der Tatsachen. Schließlich muss jeder Staat nach seinen Gesetzen solch ein Schutzgebiet ausweisen, und die sind nun mal sehr unterschiedlich. In Deutschland feiern wir jetzt das 30-jährige Bestehen, weil der Nationalpark 1995 vom brandenburgischen Landtag ausgewiesen wurde. In Polen ist das Verfahren wesentlich komplizierter, sodass wir de facto zurzeit eher ein grenzüberschreitendes Schutzsystem als einen einheitlichen Park haben.

Dann hat sich Polens Umweltministerin Paulina Hennig-Kloska der Sache angenommen?

Es gibt 23 Nationalparks in Polen, darunter sehr bekannte wie den Nationalpark Białowieża. Seit 2004 ist kein neuer hinzugekommen. Aber Frau Hennig-Kloska hat direkt nach ihrem Amtsantritt eine Taskforce für das Untere Odertal eingesetzt. Nach dessen intensiver Arbeit sind wir nun sehr zuversichtlich, dass es bis Ende 2025 eine Ausweisung als Nationalpark in Polen geben wird, dass sich also der gemeinsame Traum Succows und Jasnowskis insoweit erfüllt, als wir dann einen wirklichen deutsch-polnischen Internationalpark haben werden.

Mieczysław Jasnowski und Michael Succow

Professor Mieczysław Jasnowski (1920-1993) lehrte mit seiner engsten Mitarbeiterin und Ehefrau Professorin Janina Jasnowska (1925-2021) an der Universität Stettin. Der Botaniker war ein international anerkannter Experte für Moore. Bekannt und bewundert wurde Jasnowski wegen seines unermüdlichen Einsatzes für den Naturschutz. 

Professor Michael Succow ist ein international anerkannter Biologe, ebenfalls mit einem Schwerpunkt auf der Erforschung der Ökologie von Mooren. 1997 wurde ihm der als Alternativer Nobelpreis bekannte Right Livelihood Award verliehen – für seine Verdienste bei der Einrichtung zahlreicher Naturschutzgebiete in Ostdeutschland, Osteuropa und Asien.

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Es gibt aber schon jetzt eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit?

Ja, und sie funktioniert sehr gut. Nehmen sie das Beispiel der Wiederansiedlung des europäischen Störs in der Oder. Dieses ursprünglich von deutscher Seite initiierte Projekt wurde von der Gesellschaft zur Rettung des Störs auch in Polen aufgenommen, dort werden nun auch Jungstöre gezüchtet. Schon lange gibt es die Kooperation polnischer Angler, die melden, wenn sie gekennzeichnete Störe fangen. Es ist also ein bilaterales Projekt geworden. Andere gemeinsame Projekte befassen sich mit touristischer Infrastruktur, Beobachtungstürmen, Netzwerkbildung ehrenamtlicher Naturschützer. Oder etwa unsere gemeinsam konzipierte Ausstellung „Menschen am Fluss“, die abwechselnd in Polen und Deutschland gezeigt wird.

Ein kleiner Stör wird ausgesetzt. © dpa

Worauf gründet diese Kooperation? 

Auf dem gemeinsamen Interesse am Naturschutz natürlich, aber vor allem auf engen persönlichen Kontakten und Vertrauen zwischen den handelnden Personen. Auf dem ständigen und intensiven Austausch mit den polnischen Kollegen, dem Verbund der Westpommerschen Landschaftsschutzparks, dem Umweltministerium in Warschau. 

Was ist nun Ihre Vision im Jubiläumsjahr?

Wir wollen das Untere Odertal gemeinsam zu einem wirklichen Transboundary Park entwickeln. Also zu einem grenzüberschreitenden Nationalpark mit einem gemeinsamen Management-Plan – das ist unser Ziel.

Dirk Treichel, Nationalparkleiter

© NLPUO

Treichel arbeitet seit 1994 für den Nationalpark im Aufbaustab. 2005 wurde der Förster, Forstingenieur und Diplom-Ökologe zum Leiter des Nationalparks berufen. Auf die Frage nach seinen Lieblingstieren nennt der dienstälteste Parkleiter in Deutschland den Biber, die Rohrdommel und die Zwergdommel. Den Schwarzstorch und den Kiebitz nicht zu vergessen…