Bei den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD steht der Bürokratieabbau weit oben auf der politischen Agenda. Verwaltung vereinfachen, Verfahren beschleunigen – so lauten die Versprechen. Doch wie groß die Hürden in der Praxis oft sind, zeigt nun ein Facebook-Beitrag von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer.
Der parteilose Politiker – früher Mitglied bei den Grünen – hat sich des Themas angenommen und schildert ein eindrückliches Beispiel aus dem Alltag: der barrierefreie Zugang zu Bahnhöfen – der in Deutschland scheinbar allzu häufig durch bürokratischen Irrsinn verunmöglicht wird.
Palmer: „Deutscher Dogmatismus in Reinform"
Palmer schreibt auf Facebook:
Der deutsche Dogmatismus ist in Reinform an den Bahnhöfen zu beobachten. Versprochen ist den Behinderten ein barrierefreier Zugang. Am besten geht das mit Rampen. Die dürfen aber maximal 6% steil sein und müssen alle zehn Meter ein waagrechtes Podest haben, damit man sich ausruhen kann. Ergebnis: Rampe ist 90m lang. Dafür gibt es in fast keinem Bahnhof Platz. Ich habe mit viel Mühe in Tübingen eine solche Rampe bei Bahnchef Grube durchgesetzt. Am Gleis 1 musste es ein Aufzug sein.
Aufzüge haben aber folgende Nachteile:
- Sie sind fast immer verpisst
- Es fahren immer Leute damit, die auch laufen könnten
- Wenn man umsteigen muss, ist immer Schlange und man verpasst seinen Zug erst recht
- Wenn man ihn wirklich braucht, ist er garantiert kaputt. So wie jetzt wieder eine Woche in Tübingen.
- Sie sind unfassbar teuer über die Lebensdauer
„Wir haben in Deutschland den Anspruch auf die perfekte Rampe. In der Realität haben wir kaputte Aufzüge oder Treppen"
Ergebnis: Nicht mal ein Umsteigebahnhof wie Plochingen ist barrierefrei. Das Geld reicht nämlich nicht und der Platz auch nicht. Und das nach Jahrzehnten, in denen dieser Maximalstandard schon gilt.
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Die Schweiz hingegen hat fast das ganze Land wirklich barrierefrei erschlossen und zwar so, dass es für alle immer gut funktioniert. Einfacher Trick: Die Rampe ist gleichmäßig 10% steil. Für ein Bergvolk offenbar keine besonders schlimme Vorstellung. Damit reduziert sich die Länge auf 30m und es passt kostenmäßig und vom Platz in fast jeden Bahnhof. Treppe raus, Rampe rein.
Wir haben damit in Deutschland den Anspruch auf die perfekte Rampe. In der Realität haben wir kaputte Aufzüge oder Treppen. In der Schweiz hat man eine Rampe, die etwas mehr Anstrengung erfordert. Dafür ist das ganze Land barrierefrei bis zum Zug erschlossen.
Und, was ist jetzt besser?
Palmer-Post auf Facebook trifft einen Nerv
Die Kommentare unter dem Post geben Palmer recht. Mehrheitlich heißt es: Übertriebene Normen lähmen das Land.
Ein Nutzer bringt es auf den Punkt: „Wir haben den Anspruch auf perfekte Lösungen – bekommen aber am Ende gar keine.“ Bürokratie sei zum Selbstzweck geworden, das Augenmaß bleibe oft auf der Strecke.
Andere kommentieren sarkastisch: „Schlimm, aber dafür können wir gendern“ – oder fragen, warum es in Deutschland wochenlang dauere, einen Aufzug zu reparieren.
Ein Rollstuhlfahrer schildert unter dem Post außerdem seine täglichen Herausforderungen: monatelang defekte Aufzüge, keine Alternativen, keine Umleitungen – Inklusion auf dem Papier, nicht in der Praxis.
Auch der Vergleich mit dem Ausland fällt kritisch aus. Eine Nutzerin berichtet aus Spanien: Dort seien steilere Rampen erlaubt – mit dem Hinweis Benutzung auf eigene Gefahr. „Eine einfache Lösung, die in Deutschland wohl undenkbar wäre“, postet sie.
Fazit vieler Leser: Deutschland verliert sich im Perfektionismus – und scheitert oft an der Umsetzung.