Regierung steht: Doch Merz hat ein Geldproblem - die SPD hat ein Esken-Dilemma

Der Weg für Kanzler Friedrich Merz ist frei: Die SPD-Mitglieder haben den mit der Union vereinbarten Koalitionsvertrag mit deutlicher Mehrheit gebilligt. Damit steht dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung formal nichts mehr im Wege. 

Soweit die gute Nachricht. Nun zu den schlechten. 

Die Regierung Merz steht vor zwei heiklen Aufgaben, die innen- wie außenpolitisch Sprengstoff bergen. Zum einen kollidiert das Herzstück ihres Koalitionsprogramms - ein gigantisches Milliardenpaket für Infrastruktur und Verteidigung - mit den europäischen Fiskalregeln. Zum anderen brodelt es in der SPD, wo Parteichefin Saskia Esken nach der Regierungsbildung ins politische Abseits zu geraten droht, was das Regieren unter Umständen erschweren könnte. 

Problem 1: Das Geld-Dilemma  

Gleich zu Beginn zeichnet sich für Merz ein finanzpolitisches Dilemma ab: Die unionsgeführte Koalition hat Investitionen „in Höhe von über einer Billion Euro für Straßen, Brücken und die Bundeswehr“ in den nächsten zehn bis zwölf Jahren angekündigt - komplett finanziert über neue Schulden. 

Damit soll ein Investitionsstau aufgelöst und das Sicherheitsversprechen Deutschlands eingelöst werden. Beschlossen wurde das noch vom alten Bundestag, gegen zum Teil heftigen innenpolitischen Widerstand.   

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Das Problem: Dieser XXL-Schuldenplan kollidiert massiv mit den EU-Vorgaben. Nach Berechnungen der Denkfabrik Bruegel würde die deutsche Staatsverschuldung die erlaubten 60 Prozent übersteigen. 

Die EU-Finanzregeln erlauben solche Ausgaben aber nicht, "es sei denn, sie werden durch Haushaltseinsparungen an anderer Stelle ausgeglichen". Selbst eine Ausnahmeregelung der EU-Kommission für Rüstungsausgaben reiche nicht aus, um die Berliner Pläne zu ermöglichen, so die Experten. 

Merz hat nur zwei Möglichkeiten 

Die Situation sei ein echtes Dilemma: Aus europäischer Sicht sei es zwar zu begrüßen, "dass Deutschland endlich die Fesseln seiner Schuldenbremse abgeworfen hat", aber es dürfe keine Sonderbehandlung nur für Deutschland geben, urteilen die Experten. 

Heikel ist vor allem, dass Berlin die verschärften Fiskalregeln selbst mit ausgehandelt hat. Ein Vorstoß zur Lockerung stieß in Brüssel jedoch bereits im März auf Ablehnung, berichtet das „Handelsblatt“: Es gebe „keinen Appetit, diese Debatte wieder zu öffnen“, hieß es demnach in EU-Kreisen.  

Der neue deutsche Haushalt steht zwar noch aus, aber die Regierung kann ihn kaum nach unten korrigieren, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren - oder sich einem EU-Defizitverfahren auszusetzen. 

Laut der Bruegel-Experten gibt es für Merz aber nur zwei Auswege aus dem Dilemma: Einsparungen oder eine erneute Reform des Stabilitätspakts. 

Letzteres wäre langfristig möglich, kurzfristig aber kaum realistisch. Bleibt Option eins - mit allen innenpolitischen Risiken. 

Merz' Kurs steht vor einer Zerreißprobe zwischen fiskalischer Solidität und politischem Gestaltungsanspruch. 

Schon im März dieses Jahres äußerte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm mit Blick auf die Fiskalregeln der EU bedenken. 

"Bei dem 500-Milliarden-Sondervermögen ist das große Problem, dass wir in den Konflikt mit den europäischen Fiskalregeln kommen", erklärte Grimm gegenüber "ZDFheute". 

Der deutsche Haushalt sei schon vorher "nicht kompatibel mit den EU-Fiskalregeln" gewesen und "wenn wir jetzt noch mal 500 Milliarden draufsetzen, dann ist es natürlich erst recht problematisch", mahnt Grimm. 

Problem 2: Das Esken-Dilemma  

Gleichzeitig droht der SPD eine Zerreißprobe in der neuen Koalition. Im Mittelpunkt: Saskia Esken. Nach der Wahlniederlage hat sie an Rückhalt verloren, besonders drastisch in ihrem eigenen Landesverband Baden-Württemberg. Der nominierte sie nicht mehr für den Bundesvorstand - ein symbolischer Machtverlust und eine schallende Ohrfeige für die 63-Jährige. 

Der Landesgeneralsekretär der SPD Baden-Württemberg, Sascha Binder, sparte zuletzt nicht mit Kritik: Zwar müsse ein Großteil der Kabinettsposten an Frauen gehen, aber „an die besten“ – und „darunter sehe er Esken nicht“, sagte Binder unverblümt. 

Dieser öffentliche Widerstand aus den eigenen Reihen verdeutlichen Eskens Lage in der Partei. Schon in ihrem Heimatverband war ihr Aufstieg zur Parteichefin von Anfang an umstritten. Mit nur 12,9 Prozent der Erststimmen schnitt sie zuletzt auch in ihrem Wahlkreis sehr schwach ab. All das trägt nun dazu bei, dass Esken parteiintern massiv unter Druck steht.

merz, esken und klingbeil Kay Nietfeld/dpa

Dabei steht Esken, die 2019 im Duo mit Norbert Walter-Borjans überraschend den SPD-Vorsitz gewann, sinnbildlich für einen linken, vermeintlich basisorientierten Kurs der Partei. Als Parteichefin hatte sie in der abgelaufenen Legislaturperiode die Aufgabe, die eher konservativ-pragmatische Politik von SPD-Kanzler Olaf Scholz nach links abzusichern - gewissermaßen als Garantin dafür, dass die Anliegen des linken Flügels nicht unter den Tisch fallen. Dafür wird sie von vielen Parteimitgliedern geschätzt. 

Nun wird sie aber zum Problem für Parteichef Lars Klingbeil. Dieser drückt sich jedoch bislang um eine klare Positionierung. Ein namentlich nicht genannter „Spitzengenosse“ erklärte gegenüber „Bild“, warum Klingbeil sich in der Sache bislang nicht klar positioniert: „Die Esken-Frage kann Klingbeil nicht ohne Zoff lösen. Entweder stößt er große Teile der Partei vor den Kopf oder er muss sie kaltblütig ausbooten, was nicht zu seinem Netter-Kerl-Image passt“, meinte der SPD-Politiker. 

Jusos und Teile des linken Flügels warnen bereits vor einem „bodenlosen innerparteilichen Umgang“, wie es etwas der bayerische Juso-Vorsitzende Benedict Lang formulierte. Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der SPD-Frauen, Maria Noichl, sagte dem „Tagesspiegel“: „Natürlich wäre es gut, bliebe Saskia Esken unsere Parteivorsitzende. Aber natürlich ist sie auch für ein Ministeramt geeignet und bestens vorbereitet.“ 

Für Klingbeil ist die Lage also heikel - und damit auch für Merz: Als neuer Fraktionschef und Vizekanzler muss Klingbeil für die versprochene Erneuerung kämpfen, doch jeder Schritt gegen Esken könnte zur Spaltung führen. Die Zustimmung der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag ist zwar hoch, aber keine Garantie für inneren Frieden. 

Zur Nagelprobe für Klingbeil könnte ein Sonderparteitag im Juni werden. Als mögliche Nachfolgerin Eskens wird bereits Bärbel Bas gehandelt. Kandidiert Esken aber, und wird sogar gewählt, droht Klingbeil möglicherweise eine halb außerparlamentarische Opposition, angeführt von Esken – mit unkalkulierbaren Folgen für die Regierungsarbeit. 

Kommt jetzt die Nahles-Lösung für Esken? 

Ein Kabinettsposten für die 63-Jährige könnte ein Ausweg sein, doch Kritiker warnen bereits vor einer „Wegbeförderung“. Auch eine Art „Nahles-Lösung“ ist denkbar. 

Der Rückzug von Andrea Nahles aus der ersten Reihe der Politik im Jahr 2019 gilt in der SPD bis heute als Prototyp einer „Wegbeförderung“. Nach ihrem Rücktritt als Parteivorsitzende - ausgelöst durch innerparteiliche Querelen und schwache Wahlergebnisse (die Parallelen zu Esken sind nicht zu übersehen) - zog sie sich zunächst ganz aus der Politik zurück. 

Zwei Jahre später kehrte sie jedoch auf eine prominente, aber unpolitische Bühne zurück: Im August 2022 wurde Nahles vom Bundeskabinett einstimmig zur Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit (BA) berufen. Damit übernahm sie einen der wichtigsten Verwaltungsposten im deutschen Sozialstaat mit enormem Einfluss, aber vergleichsweise geringer öffentlicher Sichtbarkeit im politischen Tagesgeschäft. 

Viele in der SPD und darüber hinaus sahen darin einen eleganten Kompromiss: Nahles wurde für ihre Verdienste gewürdigt, erhielt eine verantwortungsvolle Aufgabe - ohne weiter als innerparteiliche Reizfigur zu wirken. Personalpolitische Spannungen konnten so entschärft werden, ohne einen offenen Bruch zu riskieren. Für Esken scheint ein ähnlicher Weg eher unwahrscheinlich, dafür ist die SPD-Frau wohl zu stolz. 

Am Ende profitiert die AfD 

Fazit: Zu all den Krisen, um die sich Merz kümmern muss, belasten diese zwei Probleme seinen Regierungsstart. In Brüssel droht ein Defizitstreit, in Berlin eine Parteikrise beim Koalitionspartner.  

Klar ist: Beide Probleme müssen schnell gelöst werden. Stillstand und Sand im Regierungsgetriebe wären fatal und würden vor allem eine Partei stärken: die AfD.