Sueli Aparecida Silva pflegt in Santa Maria 4300 Orangenbäume, die gegen die gleichen Bedrohungen kämpfen wie die meisten Orangen der Welt. Die Farm der Bäuerin steht in Brasilien, dem Land, das rund 80 Prozent aller Orangen auf der Welt erntet. Weil der Klimawandel dort Dürren, Waldbrände und Regenfälle verstärkt, sinken die Erträge seit Jahren. Ganze Plantagen der geschwächten Pflanzen leiden unter der Krankheit Greening. „Manchmal regnet es zu viel, manchmal ist es zu trocken“, sagt Silva zu Fairtrade. Für die Saison 2024/2025 erwartet der brasilianische Zitrusbauern-Verband die schlechteste Orangen-Ernte seit rund dreieinhalb Jahrzehnten.
Orangensaft-Fans schaudern angesichts dieser Nachricht. Inzwischen leben drei Milliarden Menschen mehr auf der Welt als Ende der 1980er. Sinkt das Angebot auf den Wert von damals, steigen durch die höhere Nachfrage die Preise. Wer nicht zahlen kann, geht leer aus.
„Wir werden eine Situation erleben hier in Europa, wo wir gucken müssen, dass wir die Versorgungssicherheit gewährleisten. (…) Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln wird langfristig die größere Herausforderung sein als der Preis.“ Metro-Chef Steffen Greubel im Dezember 2024
Der Klima-Preisschock: Einige zahlen mehr, andere kaufen schlechtere Produkte
Das Beispiel Orangensaft verdeutlicht, wie der Klima-Preisschock beginnt:
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- Der Klimawandel erwärmt die Erdatmosphäre. Seit Beginn der Datenaufzeichnung Ende des 19. Jahrhunderts steigt die weltweite Durchschnittstemperatur kontinuierlich.
- Mehr Wärme in der Atmosphäre bedeutet mehr Energie, erklärt Heiko Paeth vom Institut für Geographie und Geologie an der Julius-Maximilian-Universität Würzburg der ARD. Diese Energie entlädt sich irgendwann. Dabei erzeugt sie stärkere und häufigere Wetterphänomene wie Stürme als eine kältere Atmosphäre.
- Gleichzeitig stört der Klimawandel Luftströmungen. Die Atmosphäre wird schlechter durchmischt, bestehende Wetterlagen halten länger an. Es bleibt also länger sonnig und trocken und länger feucht. Dadurch entstehen häufiger Dürren und Dauerregen.
- Pflanzen leben länger unter Extrembedingungen, als sie das gewohnt sind. Das schwächt die Pflanzen, verringert ihre Erträge und macht sie anfälliger für Schädlinge und Krankheiten.
- Die Ernten sinken, aber die Menschheit wächst weiter. Die Erträge reichen also nicht mehr vollständig für alle. Irgendjemand muss verzichten.
Die Folgen dieser Entwicklung treffen die Menschen in Deutschland bereits voll, auch wenn ihre Verbindungen zum Klimawandel oft im Hintergrund bleiben. Zurück zum Beispiel Orangensaft:
- Von 2008 bis 2021 kostete ein Kilo Orangensaft an der Börse zwischen einem und drei Euro. 2022 bis 2024 schnellte der Orangensaft-Kurs in Folge der schwachen Ernten auf über zehn Euro pro Liter.
- Um ihre Produkte bezahlbar zu halten, senkten Hersteller den Fruchtanteil ihrer Säfte. Der Hersteller Granini erhielt dafür im Jahr 2024 die Negativauszeichnung „Mogelpackung des Jahres“: Statt 100 Prozent Frucht enthielt die gleiche Flasche nur noch 50 Prozent. Einige Kunden kauften infolge der steigenden Preise auch weniger oder keinen Orangensaft mehr. Die Nachfrage sank.
- Von Januar bis April 2025 sackten die Orangensaft-Preise auf vier bis fünf Euro pro Liter ab. Damit liegen sie immer noch doppelt so hoch wie vor vier Jahren. Kunden zahlen in Supermärkten weiter oft mehr als drei Euro für eine Literflasche Orangensaft.
Dieser Teuer-Kreislauf hat echten Orangensaft innerhalb von drei Jahren vom Frühstück-Basic zum Luxusprodukt verwandelt. Menschen verzichten auf ihn entweder vollständig oder geben sich mit schlechteren Alternativen zufrieden.
Orangensaft gibt dem schwer greifbaren Problem Versorgungssicherheit ein Gesicht:
- Versorgungsprobleme zeigen sich nicht immer in leeren Supermarkt-Regalen.
- Versorgungsprobleme zeigen sich, in dem sich weniger Menschen ehemalige Allerwelts-Produkte leisten können: Der Durchschnittsdeutsche trank schon 2024 2,6 Liter Orangensaft weniger als im Vorjahr.
Dieser Klima-Preisschock betrifft längst nicht nur den Orangensaft. Derzeit durchläuft ihn auch der Kaffee.
Auch Kaffee droht der Klima-Preisschock
„Die letzte gute Ernte gab es 2020 mit 14.000 Sack“, sagt Kaffeebauer Glaucio de Castro aus Iraí in Brasilien dem Handelsblatt. Die Weltbevölkerung wächst, immer mehr Menschen wollen Kaffee zum Frühstück. Doch Kaffeebauer de Castro erntete mit 6500 Sack zuletzt weniger als die Hälfte der Menge von 2020. Dürren, Frost oder Hitze vernichten seit mehreren Jahren auch viele Kaffeepflanzen.
Der Preis für ein Kilo Arabica-Rohkaffee hat sich dadurch an der Börse innerhalb der vergangenen zwölf Jahre knapp verdoppelt. Das merken die Kunden beim Einkauf. Die Supermarkt-Preise für Kaffee stiegen im gleichen Zeitraum um knapp ein Viertel. Kaffeehändler Tchibo verlangt von Kunden je nach Sorte zwischen 50 Cent und einen Euro pro Pfund mehr.
Die Anstiege dürften sich fortsetzen.
- Kurzfristig: Laut Analysten dauert es sechs bis neun Monate, bis höhere Preise für Rohkaffee vollständig bei den Verbrauchern ankommen. Wahrscheinlich zahlen die Menschen in Deutschland bis Sommer oder Herbst noch mehr für ihren Kaffee als heute.
- Langfristig: Der Klimawandel zerstört laut Studien bis ins Jahr 2050 rund die Hälfte der Anbauflächen von Arabica-Kaffee, der beliebtesten Kaffee-Sorte. Das Angebot sinkt also deutlich, was die Preise weiter treiben dürfte.
Auch Kaffee droht zum Luxusprodukt zu werden, das sich immer weniger Menschen leisten können. "So wie wir heute Kaffee trinken", sagt Thomas Eckel, Inhaber der Murnauer Kaffeerösterei, dem Gastro-Magazin Fizzz, "werden wir es 2050 bestimmt nicht mehr tun".
Milchprodukte, Getreide: auch Grundnahrungsmitteln droht der Klima-Preisschock
Dass der Klima-Preisschock nicht bei Kaffee und Orangensaft endet, verdeutlicht ein Blick auf die zahlreichen Preiswarnungen von landwirtschaftlichen Organisationen und anderen Experten:
- Der Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie warnt vor historischen Höchstpreisen für Mostäpfel. Grund sei der Klimawandel: mal zu viel Regen, mal Dürre, aber immer weniger Normalbedingungen für die Äpfel. Auch Apfelsaft dürfte also bald teurer werden.
- Gleiches gilt für den knappen Ananassaft: In den wichtigen Ananas-Anbauländern Thailand und den Philippinen verringert Trockenheit die Ernte auf rund die Hälfte der ursprünglichen Erträge. In Costa Rica schlug die Trockenheit des Jahres 2023 im Jahr 2024 in heftige Regenfälle um. Beides senkte ebenfalls die Erträge.
- Olivenöl hat bereits einen enormen Preisanstieg hinter sich, weil mehrere außergewöhnlich trockene Sommer in Südeuropa Ernten zerstörten. Nun dürfte es lange oder dauerhaft teuer bleiben: Bis neue Olivenbäume Früchte tragen, dauert es oft ein Jahrzehnt.
- Die Preise für Milch und Milchprodukte wie Butter oder Käse sind teils deutlich gestiegenen. Ursache sind laut einem Metro-Sprecher klimabedingte Ertragsrückgänge sowie die Maul- und Klauenseuche.
- An Ostern zahlten Kunden Rekordpreise für Schokohasen. Hintergrund ist, dass Kakaobohnen rund dreimal so viel kosten wie noch Ende 2022. "Wir haben ein Defizit von ungefähr 400.000 Tonnen am Weltmarkt", erklärt Nicko Debenham Barry Callebaut, einem der weltgrößten Schokoladenproduzenten dem ZDF. Schuld seien Extremwetter und die durch den Ukraine-Krieg gestiegenen Preise für Dünger.
- Wichtige Getreide-Anbaugebiete von Polen bis in die Ukraine leiden laut dem Wetterportal Windy unter außergewöhnlicher bis extremer Dürre. Weil sich die Böden dort im Winter mit Wasser vollsaugen müssen, um die Pflanzen während des niederschlagsarmen Sommers mit Feuchtigkeit zu versorgen, fürchten Experten um die diesjährige Ernte. Missernten in einem der wichtigsten Getreide-Anbaugebiete der Welt dürften die Preise für Brot, Nudeln und andere Getreideprodukte nach oben treiben.
Bei allen Teuerungen spielt der Klimawandel eine entscheidende Rolle, oft die wichtigste. Da sich Klima-Experten einig sind, dass die Gefahr für Missernten durch den Klimawandel in den kommenden Jahren steigt, droht immer mehr Lebensmitteln der Klima-Preisschock.
Früher hätten vor allem Angebot und Nachfrage die Verfügbarkeit von Lebensmitteln bestimmt, sagt ein Sprecher des Großhändlers Metro. „Heute sind vom Klimawandel bedingte Einflüsse auf die Produktion und Lieferkette deutlich stärker zu spüren.“ Hinzu kommen politische Spannungen und regulatorische Maßnahmen. Das treibe die Preise in den Restaurants und Supermärkten.
"Gerade war der Chef eines Süßwarenherstellers bei mir. Er hat gesagt, sein erstes Problem ist der Kakaopreis, sein zweites Problem ist der Kakaopreis, und sein drittes und schwerstes Problem ist der Kakaopreis." Rewe-Chef Lionel Souque im Spiegel-Interview
Den Supermärkten gehen die Gegenmittel aus
Noch begrenzen Supermärkte und Großmärkte den Klima-Preisschock, indem sie vermehrt Eigenmarken anbieten. Zwar verteuert sich beispielsweise der Orangensaft. Indem Metro, Rewe, Lidl und Co. mit ihren Eigenmarken aber die Gewinne teurer Marken aus dem Preis herausstreichen, steigen die Saftpreise an der Kasse langsamer als die Saftpreise an der Börse: vergleichbare Qualität zum niedrigeren Preis, so der Plan.
Der Trick funktioniert, aber nur begrenzt. Haben die Supermärkte einmal viele Eigenmarken im Angebot, können sie die Preise durch einen Umstieg nicht weiter senken. Dann schlagen weitere Preissteigerungen voll auf die Endkunden durch.
Langfristiger gegen Produktionsausfälle helfen könnten klimaresistentere Pflanzen. Doch noch fehlen beispielsweise beim Kaffee ausreichend Setzlinge, sagt Rösterei-Chef Eckel. Auch hohe Kosten und schwierige Kommunikation verzögern die Umstellung.
Liefert Brasilien den Großteil der Orangen und Arabica-Bohnen weltweit, steigen die Preise, wenn der Klimawandel dort die Ernten massiv verringert. Dieses Problem behebt die Menschheit erst, wenn sie den Klimawandel aufhält.