Projekt „Eris“: Mit irrer Technik will deutsche Traditionsfirma das große Schiffs-Problem lösen

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Klimaneutraler Treibstoff auf hoher See?

Die Eris soll ein Vorzeigeprojekt für Klimaneutralität sein. Ansonsten sind Schiffe eher, pardon, CO2-Dreckschleudern. Sie pusten jährlich eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid raus. Und das Problem wird immer größer. Daher sind doch wohl eher große als erste Schritte dringend nötig, oder?

Stiesch: Sie haben recht. Der CO2-Ausstoß muss nicht nur gebremst, sondern massiv gesenkt werden. Die Ziele sind klar von der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) und der EU vorgegeben. Der größte Hebel liegt in der Nutzung klimaneutraler Kraftstoffe wie Methan, Methanol oder Ammoniak. Sie können als Biokraftstoffe oder als synthetische E-Kraftstoffe auf Basis von grünem Wasserstoff hergestellt werden. Batterietechnologie ist für die Hochseeschifffahrt keine Option, da die benötigten Batterien so groß und schwer wären, dass das Schiff bildlich gesprochen sinken würde. Daher konzentrieren wir uns stark auf diese neuen Kraftstoffe.

Sie setzen sich mit MAN Energy Solutions seit mehreren Jahren für strengere Klimavorschriften in der Schifffahrt ein und haben die internationale Seeschifffahrtsorganisation im Vorfeld der Weltklimakonferenz 2023 zu verschärften Regelungen aufgerufen. Was fordern Sie?

Stiesch: Wir fordern klare, verbindliche und vor allem weltweit gültige Reduktionsziele für CO2-Emissionen in der Schifffahrt. Wir brauchen ein Anreizsystem, das die Umstellung auf klimaneutrale Kraftstoffe und neue Technologien belohnt. Gleichzeitig muss der Einsatz fossiler Kraftstoffe immer unattraktiver werden. 

Dr. Gunnar Stiesch von MAN Energy Solutions fordert klimaneutrale Kraftstoffe für die weltweite Schifffahrt. MAN Energy Solutions

"Müssen das Henne-Ei-Problem lösen"

Viel getan hat sich in diesem Bereich in den vergangenen Jahren nicht, oder?

Stiesch: Doch, es gibt Fortschritte. Erst vor wenigen Wochen hat die IMO in London eine Mindeststeuer auf die Emission von Treibhausgasen im globalen Schiffsverkehr beschlossen. Dieser definiert bestimmte Grenzwerte, bei deren Überschreitung der Reeder eine Kompensation zahlen muss. Die IMO-Mitgliedstaaten einigten sich auch auf Standards, um schrittweise sauberere Treibstoffe einzuführen.

Technisch sind wir schon lange bereit: Es existieren bereits Schiffe und Motoren, die mit klimaneutralen Kraftstoffen betrieben werden können. Viele dieser Technologien sind bereits seit mehreren Jahren und vielen Tausend Betriebsstunden im Einsatz. Allerdings fehlt derzeit die Verfügbarkeit der notwendigen Kraftstoffe in ausreichender Menge, was Investitionen in die Produktion solcher Kraftstoffe dringend erforderlich macht.

Wie kann das sein? Die Technologie ist da, es gibt neue umweltfreundlichere Motoren, aber die klimaneutralen Kraftstoffe fehlen?

Stiesch: Wir müssen das Henne-Ei-Problem lösen. Die Reeder zögern mit der Investition in klimaneutrale Antriebe, da es die Kraftstoffe noch nicht in ausreichender Menge gibt. Die Kraftstoffproduzenten zögern mit dem Aufbau von Produktionsstätten, da es noch nicht genügend Schiffe als Abnehmer gibt. Für dieses Dilemma brauchen wir eine Lösung, und hierzu brauchen wir eben entsprechende Regularien und Rahmenbedingungen, die das Vermeiden von CO2-Emissionen auch wirtschaftlich attraktiv machen. 

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Fossile Kraftstoffe müssen teurer werden

Wollen die Reedereien denn überhaupt umweltfreundliche Motoren und klimaneutralen Kraftstoff einsetzen? Die Eris ist schließlich ein Exot mit ihrer CO2-Abscheidung auf hoher See?

Stiesch: Wir beobachten einen erheblichen Anstieg bei der Nachfrage nach sogenannten Dual-Fuel-Motoren, die sowohl konventionelle als auch klimaneutrale Kraftstoffe verwenden können. Im letzten Jahr haben rund 60 Prozent unserer Kunden solche Schiffsantriebe  bestellt. Dies zeigt, dass die Technologien funktionieren und die Bereitschaft zur Umstellung steigt. Die Hauptproblematik besteht jedoch darin, dass saubere Kraftstoffe immer noch teurer als fossile Kraftstoffe sind und perspektivisch auch teurer bleiben. Daher ist eine faire Bepreisung der fossilen Kraftstoffe über die Klimaemissionen notwendig. Ohne diese Bepreisung werden saubere Kraftstoffe keinen Durchbruch schaffen. 

Dr. Gunnar Stiesch wurde 1970 geboren, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er studierte Maschinenbau an der University of Wisconsin-Madison in den USA und promovierte und habilitierte von 1996 bis 2003 an der Leibniz-Universität Hannover über die Modellierung und Simulation von Verbrennungsmotoren. Gunnar Stiesch ist seit 2008 in verschiedenen Management-Funktionen bei MAN Energy Solutions tätig und gehört seit 2023 als Chief Technology Officer (CTO) dem Vorstand des Unternehmens an. 

Klares Signal durch CO2-Bepreisung

Wer ist für diese faire Bepreisung zuständig? Wen sprechen Sie konkret an?

Stiesch: Der Preismechanismus, den die IMO nun beschlossen hat, sendet ein klares Signal, dass Schiffe in Zukunft nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie ihren CO2-Fußabdruck reduzieren. Darüber hinaus kann jede Nation und Regierung weltweit mit ambitionierten nationalen und lokalen Zielsetzungen zu einer klimaneutralen Schifffahrt beitragen, so wie es die Europäische Kommission mit ihren FuelEU Maritime Regularien beschlossen hat. 

90 Prozent des Welthandels geht über die Weltmeere, was eine riesige Menge an Emissionen bedeutet. Wie können Sie die Entwicklung beschleunigen, damit mehr Reedereien mitziehen?

Stiesch: Es gibt ungefähr 100.000 Schiffe auf See weltweit, die – wie Sie schon gesagt haben - rund eine Milliarde Tonnen CO2 emittieren, was knapp drei Prozent der weltweiten Emissionen ausmacht. Obwohl die Schifffahrt im Vergleich zur Transportleistung sehr effizient ist, müssen wir die Emissionen weiter senken. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir diese Lösungen nicht nur für Neumotoren anbieten, sondern auch die Nachrüstung der bestehenden Flotte ermöglichen.

Bau eines MAN Zweitakt-Dual-Fuel-Methanolmotors in einer Werft in Südkorea MAN Energy Solutions

Klimaneutralität? Weit entfernt - aber es gibt Lösungen

Ein Schiff hat eine Lebensdauer von etwa 25 bis 30 Jahren. Ist eine Umstellung bei den alten Kähnen überhaupt möglich und wirtschaftlich sinnvoll? Wie lange dauert so eine Umstellung?

Stiesch: Wenn die Schifffahrt bis 2050 klimaneutral werden soll, müssten bei einer Lebensdauer von 25 Jahren bereits alle heute gebauten Schiffe klimaneutral sein. Davon sind wir aber weit entfernt. Deshalb bieten wir auch für die existierende Flotte Umrüstungen an. Ein Beispiel dafür ist, dass wir im letzten Jahr den Motor eines großen Containerschiffs der Reederei Maersk umgerüstet haben. Der Motor wurde auf Methanolbetrieb umgestellt. Wenn dieses Schiff in Zukunft mit grünem Methanol fährt, kann es CO2 in einer Größenordnung von 100.000 Tonnen pro Jahr einsparen, das entspricht dem Verbrauch von 50.000 Pkw.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Weltmeere sauberer werden?

Stiesch: Aus technologischer Sicht bin ich sehr zuversichtlich: Wir haben bereits die Lösungen für eine klimaneutrale Schifffahrt. Unsere Motoren können schon heute klimaneutral mit Methanol oder synthetischem Methan betrieben werden, und wir testen aktuell den ersten ammoniakbetriebenen Zweitaktmotor. Jetzt geht es darum, diese klimaneutralen Kraftstoffe in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung zu stellen. Damit das gelingt, brauchen wir die Unterstützung von Regierungen und Regulierungsbehörden weltweit. Hier muss es schneller, pragmatischer und noch entschlossener vorangehen.

Die Mitgliedsstaaten der UN-Organisation International Maritime Organization (IMO) haben im April in London zum ersten Mal eine Mindeststeuer auf die Emission von Treibhausgasen im globalen Schiffsverkehr beschlossen. Die wichtigsten Punkte aus dem Beschluss: 

  • Künftig müssen Schiffsbetreiber für jede Tonne Kohlendioxid, die ihre Schiffe ausstoßen, eine Mindeststeuer von 100 US-Dollar (rund 88 Euro) zahlen. Die Abgabe soll erhoben werden, wenn die verantwortlichen Länder keine ausreichenden Beiträge zum Netto-null-Fonds der IMO geleistet haben und ihre Schiffe einen bestimmten CO2-Grenzwert nicht einhalten.
  • Es handelt sich um die erste globale Steuer auf Treibhausgasemissionen, sie soll 2028 in Kraft treten.
  • In London einigten sich die IMO-Mitgliedstaaten auch auf Standards für saubere Treibstoffe, mit denen die Schiffe weltweit schrittweise betrieben werden sollen.
  • Die IMO strebt eine klimaneutrale globale Schifffahrt bis 2050 an.
  • Die USA nahmen an der Tagung in London nicht teil. Stattdessen drängte Washington andere Regierungen, sich gegen die Schritte zur Emissionsreduktion zu stellen.